Im Forschungsprojekt „Einfach Bauen 1: Ganzheitliche Strategien für energieeffizientes, einfaches Bauen – Untersuchung der Wechselwirkung von Raum, Technik, Material und Konstruktion“ wurde untersucht, inwiefern Gebäude mit einfacher und robuster Konstruktion als auch Gebäudetechnik gebaut werden können und wie diese bezüglich Umweltwirkung und Lebenszykluskosten im Vergleich – auch unter Betrachtung des Nutzerverhaltens – zu üblichen Wohngebäuden und Wohngebäuden in Niedrigenergiebauweise über einen Betrachtungszeitraum von 100 Jahren abschneiden.
Hypothese
Ausgangspunkt der Untersuchungen waren die heute hochentwickelten Konstruktionsmaterialien Massivholz, Leichtbeton und hochwärmedämmendes Mauerwerk als schichtenarme bzw. monolithische Wandaufbauten. Nach ausführlicher Produkt- und Projektrecherche wurden optimierte Konstruktionen, Raum- und Technikkonzepte, sowie Detaillösungen entwickelt und in einem, Übersicht schaffenden Vergleich dargestellt.
Mit diesen Erkenntnissen wurden Einzelräume entworfen und hinsichtlich des Energieverbrauchs untersucht. Im nächsten Schritt wurden sie zu schematischen Gebäuden addiert und mit haustechnischen Systemen ergänzt. Hierfür wurden die Kosten für Entstehung und Betrieb und die Umwelteinwirkung jeweils ermittelt.
Arbeitsschritte
Ein multifunktional nutzbarer Raum mit der Grundfläche 18m2 wurde als Basis-Raummodell definiert („Base Case“). Das Nutzerverhalten sowie die Heiztechnik wurden ideal angesetzt, und konstant ein Wetterdatensatz verwendet. Davon ausgehend wurden folgende Raumparameter variiert:
Die Kombination von 81 verschiedenen Geometrien, vier Himmelsrichtungen, drei Bauweisen und drei Glasarten ergab 2.916 zu simulierende Varianten. Wenn die gewählte Fenstergröße in Kombination mit Glasart und Raumproportion zu wenig Tageslicht in den Raum ließ (als Grenze wurden min. 2% Tageslichtquotient festgelegt), wurde diese nicht weiter untersucht. So reduzierte sich die Variantenzahl auf 2.603, die thermisch dynamisch simuliert wurden. Dafür kam die Rhinoceros/Grasshopper®-Umgebung mit dem Plug-in TRNLizard mit dem Rechenkern der Software TRNSYS 18 zum Einsatz.
Es hat sich gezeigt, dass Raumvarianten mit reduziertem Hüllfächenanteil, thermischen Speichermassen und optimierten Fensterflächen mit einem Tageslichtquotienten von 2 % sich als optimal bezüglich geringem Heizwärmebedarf und reduzierter Überhitzung im Sommer erwiesen. An diesen erfolgreichen Raumkonfigurationen wurde dann die Robustheit gegenüber unsicheren Randbedingungen untersucht.
Parameterstudie auf Raumebene
Bisherige Planungsprozesse haben zum Ziel, für die jeweilige Aufgabe das Optimum zu finden. So erreicht beispielsweise ein Niedrighaus bestmögliche Werte in Bezug auf den Heizwärmebedarf. Dabei bleibt oft unberücksichtigt, dass sich die als ideal angenommenen Umgebungsparameter in der Realität dramatisch ändern können. Diese Annahme nehmen wir als Grundlage für die Robustheitsuntersuchung.
Wir definieren ein System als robust, wenn es unter Idealbedingungen nicht unbedingt das bestmögliche Ergebnis erreicht, dafür aber unsensibel auf sich verändernde Eingangsgrößen reagiert. Ein robustes System sollte also auch dann gute Ergebnisse liefern, wenn die im ersten Simulationsdurchlauf konstant gehaltenen Umgebungsparameter variieren:
Zum Vergleich wurden zusätzlich zu den drei untersuchten Einfachen Bauweisen (Mauerwerk, Infraleichtbeton und Massivholz) noch ein Raummodell in Standardbauweise und in Niedrigenergiebauweise betrachtet, was eine Variantenzahl von 128 ergab. In der Untersuchung hat sich gezeigt, dass das Lüftungsverhalten des Nutzers den größten Einfluss auf den Heizwärmebedarf im negativen wie im positiven hat. Im Sommer sind das Wetter und die internen Gewinne die Faktoren, die den größten Einfluss auf die Überhitzung haben. Insgesamt zeigen sich die einfachen Bauweisen robuster gegenüber Einflussnahme durch den Nutzer als die parallel untersuchten Raummodelle mit Standard- und Niedrigenergiekonzept.
Auf Basis der Raumvarianten wurden drei typische Bauformen im Geschosswohnungsbau schematisch als Basis für eine Mengenermittlung und Abschätzung der Verbrauchwerte erstellt:
Typengrundrisse GK 3 (Solitär),
GK 4 (Zeile), GK 5 (Baulücke)
Für alle Raumvarianten wurden die Umweltauswirkung, fokussiert auf das Treibhauspotenzial GWP, und die Lebenszykluskosten berechnet und miteinander verglichen. Dabei wurden die Rohstoffgewinnung bzw. Herstellung, die Betriebsphase über einen Zeitraum von 100 Jahren und die Entsorgung untersucht.
Es stellte sich heraus, dass der Betrieb bei allen Varianten deutlich über die Herstellung dominiert, sowohl beim Treibhauspotenzial als auch bei den Betriebskosten. Je kompakter die Bauweise, desto geringer werden letztere. Die drei Einfach Bauen-Varianten verhielten sich etwa vergleichbar mit dem Standard- und dem Niedrigenergiehaus. Berücksichtig man allerdings ergänzend zu den statischen LCA- und LCC-Kennwerten die Unsicherheit in den Randbedingungen, hat man bei Einfachen Bauten eine deutlich geringere Spreizung des Heizwärmebedarfs und damit ein robusteres System als bei den konstruktiv komplexeren und im Betrieb sensibleren Standard- und Niedrigenergiegebäuden. Das zeigt sich nicht nur speziell am Heizwärmebedarf, sondern auch in den Übertemperaturstunden, denn diese schwanken bei „Einfachen Bauten“ in einem schmaleren Band und zeigen auch damit eine höhere Robustheit sowohl gegen unvorhergesehenes Nutzerverhalten als auch gegen äußere Einflüsse (Klimaerwärmung), oder nicht funktionsfähige Teilsysteme.
Bauen ist zu komplex, als dass es eine simple Formel dafür gäbe, wie man „einfach“ baut. Jedes Bauprojekt hat spezielle Randbedingungen, die es zu beachten gilt (z.B. die verfügbare Energiequelle, Art und Ausrichtung des Grundstücks etc). In „Einfach Bauen 2“ wird ein Leitfaden entstehen, der bis ins Detail Vorschläge für die Konzeption eines einfach gebauten Hauses macht.
Einige Überlegungen sind allgemeingültig:
Das Haus
Die Einfachheit eines Gebäudes in Hinblick auf geringe Wartung und Energiebedarf beginnt beim Städtebau. Urbane Bauformen, d.h. mehrgeschossig und kompakt, sparenHüllfläche und damit Energie sowohl in der Erstellung als im Verbrauch. Hohe Dichte führt zu Effizienz und Synergie bei Flächenverbrauch, Erschließungsaufwand und dem Verkehrsaufkommen durch Errichtung und Nutzung. Der Glasanteil des Gebäudes sollte so maßvoll bemessen sein, dass ein ausgewogenes Verhältnis aus Tageslichteinfall, solarem Eintrag und Wärmeverlusten erzeugt wird. Dadurch kann dann auch auf zusätzlichen Sonnenschutz oder gar energetisch unsinniges Sonnenschutzglas verzichtet werden. Eine Dämmung des Gebäudes über den aktuellen Standard hinaus schafft bei mehrgeschossigen, kompakten Gebäuden kaum weitere Energieeinsparung und ist ökologisch und ökonomische nicht sinnvoll.
Der Mensch
Niedrigenergiekonzepte setzen meist auf Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, um die Wärmeverluste, die durch die notwendige Frischluftversorgung der Wohnräume entstehen, zu verringern. Sofern diese Systeme von den Bewohnern verstanden und akzeptiert werden, ist auch eine höhere Wahrscheinlichkeit gegeben, dass der Nutzer z. B. bei der Fensterlüftung entsprechend verhält. Die Untersuchungen haben gezeigt, wie negativ sich ein davon abweichendes Nutzverhalten auf die Energiebilanz während der Nutzung auswirken kann. Es erscheint sinnvoll, Anstrengungen in die Aufklärung des Nutzers zu investieren und gleichzeitig nur technische Systeme zu verwenden, die auch bei einem abweichenden Verhalten des Nutzers noch ausreichend robust sind, um die angestrebten Ergebnisse zu erzielen.
Die Zeit
Viele Gebäude bleiben lange erhalten, auch wenn dies selten bei der Planung bedacht wird. Um sie langfristig nutzen zu können, sollten Veränderungen möglich und daher bereits im Planungsprozess angedacht sein. Flexible Grundrissstrukturen ermöglichen Wechsel in der Nutzung. Alterungsfähige Oberflächen garantieren die Langlebigkeit der Gebäude. Durch die Trennung von Haustechnik und Baukonstruktion können veraltete Techniksysteme leichter ersetzt werden. Grundsätzlich ist auf eine einfache, durch handwerkliche Methoden wieder lösbare Fügung der Bauteile zu achten. So muss nicht eine Spezialfirma für die Renovierung und Instandsetzung von Gebäuden herangezogen werden. Auch ein handwerklich begabter Nutzer kann selber Schäden reparieren und Bauteil austauschen – Einfach mal Bauen!
Die Ergebnisse sind in einem Bericht veröffentlicht, der hier heruntergeladen werden kann.
TUM – Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Florian Nagler
M. A. (TUM), Dipl. Ing (FH). Architekt Tilmann Jarmer
Dipl. Ing. Architektin Anne Niemann
Mitarbeit: Antonia Cruel Cand. Arch.
TUM – Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen
Prof. Dipl.-Ing. Thomas Auer
M.Sc. Laura Franke
TUM – Professur für Entwerfen und Holzbau
Prof. DI Hermann Kaufmann
TUM – Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion
Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter
Dipl.-Ing. M.A. Architekt Stephan Ott
Architekt Marco Krechel. M. Sc.
TUM – Lehrstuhl für Werkstoffe und Werkstoffprüfung im Bauwesen
Prof. Dr.-Ing. Christoph Gehlen
Dipl. Ing. Charlotte Thiel
01.10.2016 bis 01.10.2018
Bayerischen Bauwirtschaft
Lessingstraße 4
80336 München
Forschungsinitiative Zukunft Bau
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
Deichmanns Aue 31-37
52179 Bonn
Stiftung Bayerisches Baugewerbe, München
B&O-Gruppe, Bad Aibling
Gumpp & Maier GmbH, Binswangen
Meier Betonwerke GmbH, Lauterhofen
Drei Fassadenmodelle in den Bauweisen wärmedämmendes Mauerwerk, Massivholz und Leichtbeton